Nachkriegszeit in Eichelhardt

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Nachkriegszeit im ruhigen Eichelhardt

- Eine Zeitzeugenbefragung -

von Christina Wassermann, Schülerin des Westerwald-Gymnasiums Altenkirchen / AKdia Februar 2010

Diese Zeitzeugenbefragung fand im Rahmen des Beifach Geschichte-Unterrichts statt und ging von einer Dokumentation der Nachkriegszeit aus, von der Fragen an Zeitzeugen abgeleitet wurden. Hier wird die Befragung in Auszügen wiedergegeben.


Die Kapitulation

Von der Kapitulation hat man in Eichelhardt nur wenig mitbekommen, da das meiste in Altenkirchen passierte.

Von dem Oberbefehl der Alliierten hingegen bekamen sie viel mit, da sie (Familie der Frau) ein großes Haus besaßen, welches viele Zimmer besaß und gleichzeitig auch als Bauernhof diente. Die Amerikaner waren die ersten, die in Altenkirchen und Umgebung einmarschierten. Sie durchsuchten sämtliche Zimmer, aber durchwühlten nichts. Sie galten für keinen als Belästigung nur als etwas Neues.

Herr S. arbeitete nach dem Krieg weiter in seiner alten Firma als Elektriker, In der Firma hatte sich für ihn nichts geändert, er arbeitete da weiter, wo er vorher aufgehört hatte. Eines Tages wurde sein Chef festgenommen und nach Hachenburg gebracht, da man entweder einen Verdacht gegen ihn hatte oder ihn als Zeuge brauchte. Dies wusste Herr S. nicht mehr so genau. In Hachenburg wurde sein Chef dann verhört und letztenendes wieder freigelassen.

Mit den Soldaten selber unterhielt sich keiner. Sie beantworteten zwar Fragen, aber unterhielten sich nicht weiter mit der Bevölkerung. Sie waren aber trotz alledem nicht unfreundlich, sondern hilfsbereit, wenn man Hilfe brauchte.

Territoriale Veränderungen

Die Vierteilung in die Besatzungszonen machte sich bei der Familie S. so bemerkbar, dass die Franzosen die Amerikaner ablösten.

Diese suchten sich Häuser aus, welche Sanitäranlagen besaßen. Denn dort konnte man sich als Soldat nach getaner Arbeit waschen. Sie waren aber nicht unfreundlich, sondern benahmen sich wie zivilisierte Menschen.

Da die Familie von Frau S. so ein Haus besaßen, mussten sie in das Nachbarhaus ziehen, damit die Soldaten ihren Platz hatten. Im Nachbarhaus schliefen sie mit mehreren in einem Raum, welchen man sich heute kleiner wie ein durchschnittliches Wohnzimmer vorstellen kann. Ihre Sachen mussten sie alle mitnehmen. Den Hof selber, das heißt die Ställe, konnten sie aber weiter bewirtschaften, genauso die Felder, die ihnen gehörten.

Als zweites habe ich zu diesem Thema gefragt, ob sie etwas mitbekommen haben von der sowjetischen und polnischen Verwaltung der Ostgebiete. Dazu konnte man mir nur sagen, dass es auf dem Land, was das angeht, ziemlich ruhig war. Das einzige, was man dort mitbekommen hat, war, dass fremde Polen als Arbeiter ins Land kamen, um sich dort auf dem Land Geld zu verdienen.

Dieses gestaltete sich meist aber schwer, da die Bewohner auf dem Land selber kaum Geld hatten. So konnten sie sich nicht einmal einen Arbeiter leisten.


Demographische Veränderung

Bei diesem Thema nannte ich einfach nur Zahlen zu den Kriegsopfern. „4.3 Millionen Soldaten und 2,8 Millionen Zivilisten“.

Da Herr S. selber Soldat war, hat er viele sterben gesehen. Sowohl Zivilisten wie auch gegnerische Soldaten und eigene Kameraden. Er wusste sogar ungefähr die Zahlen, die ich genannt habe.

Seine Frau hingegen sagte, dass Eichelhardt selber nur teilweise zerstört war, also sehr wenige Häuser zerbombt wurden. Deshalb wurden in ihrer Nachbarschaft auch keine Menschen getötet.

Das meiste geschah in Altenkirchen, wo nicht nur Kriegsopfer durch Bombenangriffe zu beklagen waren, sondern auch Juden, die während dem Krieg verfolgt und ermordet wurden.

Weiterhin konnten die Eheleute S. sagen, dass man von den Stützpunkten aus, die noch vorhanden waren, Tauschgeschäfte führte. In Giesenhausen zum Beispiel wurde getauscht.

Die letzte Frage zu diesem Thema von mir war, ob sie etwas von Kriegsgefangenen und Verhafteten mitbekommen haben.

Zu diesem Thema konnte mir Herr S. viel sagen, da er selber ein Kriegsgefangener in Russland war. Wie es da war, wollte er mir aber nicht erzählen.

Er selber sagt dass er nicht durch die Alliierten frei kam, sondern schon 1941 in Russland entlassen wurde. Trotzdem konnte er sagen, dass man teilweise mitbekommen hat, wie Soldaten nach Hause zu ihren Familien kamen.

Es wurden aber auch welche von den Alliierten verhaftet, die ihrer Meinung nach hinter Hitler standen. Doch davon hat man in Eichhardt sehr wenig mitbekommen.

Zerstörungen

Bei dem Thema Zerstörung war es so, dass ich gar keine Fragen oder Stichpunkte nennen musste.

Die Eheleute S. sagten mir direkt, dass das Haupttransportmittel die Eisenbahn war, welche aber nicht bei ihnen lang fuhr, sondern nur durch Altenkirchen. Dort wurde sie teilweise auch zerstört.

Der einzige, der die Transportwege in Eichelhardt nutzte war der Milchwagen, welcher zu den Bauern fuhr (auch zu Familie S.) und die Milch abholte und das Geld dafür gab. Die Transportwege um Eichelhardt waren aufgrund der wenigen Benutzung so gut wie nicht zerstört.

In Eichelhardt war kaum etwas zerstört.

Selbst die Felder blieben ganz, da dort die Versorgung herkam. Ein großes Feld wurde in Eichelhardt zerstört, und das geschah genau vor den Augen von Frau S. Sie sollte auf dem Feld Kartoffeln holen, als plötzlich ein riesiger Lärm auftrat. Als sie zum Himmel schaute, sah sie, wie sich zwei Flieger gegenseitig abgeschossen haben. Einer davon stürzte ins Feld. Folge davon war, dass man noch Jahre danach nichts auf diesem Feld anbauen konnte.

Die Hauptzerstörung verlief in Altenkirchen und Sörth, da dort die Hauptstützpunkte der Stadt lagen. Dabei starben viele Menschen, darunter auch viele Kinder.

Es wurde einfach Bomben mittenrein geworfen, wie die Eheleute S. sagten, „Ohne Rücksicht auf Verluste“. In Altenkirchen waren die Hauptverkehrswege, wie Kölner-, Siegener- und Frankfurterstraße vollkommen zerstört. Außerdem wurde in Altenkirchen das Amtsgericht und in Sörth das Verwaltungsgebäude zerstört.

Das, was zerstört wurde, waren die Flächen, die frei waren, zum Teil aber auch Felder. Aber nicht durch Bombardierung, sondern durch die Querfeldeinfahrt der Panzer. Diese interessierten sich nicht für Wege, sondern zerstörten mit ihrem Gewicht die Feldwege.

Im eigenen Dorf wurde nichts zerstört, das heißt keine Freunde oder Bekannte verletzt.

Aber ein Teil der Familie von Frau S. hatte etwas von der Zerstörung Deutschlands mitbekommen. In Essen wohnte Frau S´. Cousine. Die ersten Bomben, die überhaupt in Deutschland runterfielen, trafen genau das Haus ihrer Cousine. Diese verlor alles, was sie hatte. Nach diesen Bomben wurde jeden Tag Deutschland bombardiert.


Versorgungskrise

In Eichelhardt hatte die Versorgungskrise keine große Auswirkung, da dort hauptsächlich Bauern wohnten. So wurde auf meine Frage ob es Auswirkungen wegen den kaputten Transportwegen hatte nur mit nein geantwortet.

Zum Teil fielen Nutzflächen im Kreis weg. In Eichelhardt war nur das Feld nicht mehr nutzbar, wo vorher der Flieger runter gefallen ist.

Als ich dann noch mal die Versorgungskrise ansprach, sagte man mir, dass man nicht selber gehungert hatte. Andere haben aber gehungert. Denn Frau S. erzählte mir, dass Polen bei Ihnen im Haus Kisten mit Essen und Klamotten geklaut hätten. Man wusste es nicht genau, aber man vermutete, dass es Polen waren.

Meine nächste Frage zu dem Thema Versorgungskrise war, ob man in Eichelhardt auch den Hungerwinter erlebte.

Die Antwort war dann, dass man den Hungerwinter 1946/47 nicht richtig erlebt hat, da die Bauern eigentlich immer genug hatten. Familie S. hat mit anderen Bauern im Dorf getauscht, wenn was fehlte, aber gehungert habe sie nicht.

Frau S. erzählte mir, dass sie von Erzählungen gehört hat, dass sehr viele Menschen von der Stadt aufs Land gezogen sind, um der Krise zu entkommen. Selber haben die Eheleute S. aber nichts von dieser „Wanderung“ mitbekommen.

Was ich sehr interessant fand, war aber auch die Antwort auf die Frage, wie es mit den Kalorien war. Hier konnte man mir sogar genaue Angaben machen. Es war wirklich so, das sie nur 900 Kalorien am Tag zu sich nehmen durften. “Was zu viel war, musste abgegeben werden“, so Herr S.

Die Alliierten haben also wirklich danach geschaut, dass jeder gleich viel zu Essen hat. Dies führte auch zu Tauschgeschäften untereinander, aber auch an den Stützpunkten. Die dort Tauschenden wollten Zucker haben, die anderen bekamen dafür Kaffee. Kaffee war das größte Tauschgeschäft überhaupt.


Schwarzmarkt

„Wie sah es aus mit Kriminalität und oder Prostution?“ Dies war meine einleitende Frage.

Herr S. antwortete darauf nur knapp: „Sowas gab es bei uns nicht“. Es war zwar so, dass „Ausländer“ Kisten mit Klamotten aber auch Getreide vom Feld stahlen, aber richtig geklaut oder so etwas in der Art gab es auf jeden Fall in Eichelhardt nicht.

Man sagte mir, dass Sie selber nicht wüssten, wie es in Altenkirchen ausgesehen hätte, da sie dort kaum waren.

Deshalb ging ich zur nächsten Frage über und fragte, wie es mit Zigaretten als Währung ausgesehen hätte.

Auch da war es ziemlich ruhig, da sie selber Nichtrauer waren bzw. sind und damit nichts zutun hatten. Die Eheleute S. bekamen aber mit, dass es manche aus Ihrem Dorf gab, die Zigaretten als Währung benutzten.


Frauen- und Männerrollen

Da musste ich zu erst keine Frage stellen, denn Frau S. sagte direkt, dass man als Frau auch aufs Feld musste, wenn der Mann im Krieg war.

In vielen Fällen war es ja auch so, dass der Mann im Krieg gefallen war. So musste die Frau alles alleine regeln. Das heißt, Kinder erziehen, Haus putzen, kochen und aufs Feld gehen. Meistens wurden die Kinder sogar noch eingespannt.

Hinzu kam, dass durch den hohen Verlust an Männern in den einzelnen Firmen ein gewisser Arbeitskräftemangel herrschte. Deshalb mussten die Frauen auch schon mal in Firmen aushelfen und die Kinder die Hausarbeit erledigen.

Der Lebensalltag sah bei Familie S. so aus, dass der Mann in der Fabrik arbeiten ging und die Frau zu Hause bei den Kindern blieb. Hier war von vornerein klar, wer arbeiten geht, sodass es keine Auseinandersetzungen zwischen den beiden Eheleuten gab.

Ich sprach die Eheleute noch auf die hohe, immer mehr steigende Scheidungsrate an. Da lachte Herr S. nur und sagte, dass diese erst in den letzten Jahren so gestiegen wäre. Nach dem Krieg wären die Ehen eher zusammen gewachsen. Auf jeden Fall war es so in Eichelhardt.

Man sagte mir immer wieder, dass man nicht genau wüsste, wie das in Altenkirchen ausgesehen hätte. Man könnte sich aber nicht vorstellen, dass die Scheidungsrate dort bei 19% gelegen hätte.

Zum Schluss stellte ich noch eine These auf, bei der Frau S. mir aber das Gegenteil bewies. Auf den Satz „Angesichts materieller Not und einer ungewissen Zukunft suchten nicht wenige Frauen Schutz und Geborgenheit durch die Rückkehr zu alten Rollenbildern“, gab sie zunächst nur die Antwort „das stimmt so nicht“. Nach weiterer Nachfrage, sagte sie, dass sie es ja mussten. Die Männer gingen arbeiten und man konnte sich keine Putzfrau und kein Kindermädchen leisten, sodass die Frau das selber übernehmen musste. Frau S. sagte mir, wenn sie gekonnt hätte, wäre sie auch arbeiten gegangen, aber einer musste ja die Kinder erziehen und das hat sie ihrer Meinung nach sehr gern gemacht.


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