Kriegsverbrechen 1945

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Ein Kriegsverbrechen 1945 in Altenkirchen

von Eberhard Blohm/AKdia 2016



Es kann nicht verwundern, dass die Mordmaschinerie des Deutschen Reiches zwischen 1933 und 1945 auch in Altenkirchen ihre Opfer fand. Eher verwundert es, dass erst mehr als 70 Jahre nach Kriegsende Hinweise auf diese Opfer auf diesem Wege öffentlich werden können.

Zu den Vorgängen, die hier zu berichten sind, gab es in ihrer Entstehungszeit nur eine gerichtliche Öffentlichkeit, sonst unterlagen sie der dienstlichen Verschwiegenheit und wohl auch dem öffentlichen Desinteresse. Denn spätestens ab 1950 hätte sich die lokale Presse äußern können, als die Einschränkungen der Berichterstattung weggefallen waren. Trotz der vorliegenden durchgehenden Überlieferung findet sich keine Notiz dazu.

Unter den auf dem Ehrenfriedhof der Stadt am Waldfriedhof genannten Toten des Bombenkrieges ist auch ein René Fusil genannt. Seine Platte trägt keine weiteren Angaben. Manfred Herrmann (1) hat unter seiner Nummer 56 diesen Namen ohne weitere Angaben wiederholt.

Als diese Liste in den 50er Jahren erstmals in der Rhein-Zeitung erschien, konnten manche der damals Verantwortlichen wissen, dass sich hinter diesem Tod ein Kriegsverbrechen verbarg, das 1947 angezeigt und von zwei französischen Militärgerichten abgeurteilt worden war. Der Täter war inzwischen wieder auf freiem Fuß.

Es ist eine Fälschung der Geschichte, den Tod René Fusils in einen Zusammenhang mit den Opfern der vier Luftangriffe oder des übrigen Kriegsgeschehens in der Umgebung zu bringen.

Die bisher ermittelten Unterlagen zu diesem Vorgang zeigen, dass es nicht reicht, geschichtliche Ereignisse durch Erzählungen belegen. Sie zeigen überdies, dass aus der zeitlichen Nähe zu den Vorgängen die Neigung wächst, aus politischen Rücksichtnahmen Geschichte zu instrumentalisieren, also Geschichtspolitik zu treiben. Sie zeigen außerdem, dass mit dem zeitlichen Abstand trotz des Verlustes vieler Unterlagen die Chance wächst, Vorgänge mit wissenschaftlichen Methoden zu erhellen. Denn einmal nimmt die Rücksichtnahme auf persönliche Bindungen mit der Zeit ab, zum anderen stehen Quellen zur Verfügung, die vorher aus Datenschutzgründen verschlossen bleiben sollten. Schließlich erlaubt die erleichterte Zugänglichkeit auch entfernter Archivbestände mittels Internet Querverbindungen zu ziehen, die vormals nur umständlich zu erreichen waren.

Im Sterberegister des Standesamts Altenkirchen von 1947 (2) ist ein Todesfall eingetragen, der den Autor zu Nachfragen anregte. Es wurde der Tod eines Kriegsgefangenen vom Februar 1945 gemeldet, der einerseits ohne Namen blieb, andererseits aber Franzose gewesen sein sollte. Die Meldung stammte vom Totengräber, der in einer Vernehmung 1947 über Tote der Alliierten (3) befragt wurde und angab, den Toten auf Anweisung beerdigt zu haben.

Der Tod wurde offenbar nicht zum Todeszeitpunkt eingetragen, sondern später. Daraus lässt sich auf eine Straftat schließen, weil das Standesamt bis zur Besetzung durch die Amerikaner funktionsfähig war und der Tod dennoch nicht zum Zeitpunkt seines Eintretens eingetragen wurde.

Als Todesursache wurde „erschossen“ genannt.

Die Identität des Toten wird nicht angegeben. Der Schluss, es müsse sich um einen französischen Kriegsgefangenen handeln, ist nicht belegt. Der Tote soll vom Gefängnis gebracht worden sein. Als Verantwortlicher wird der Kreissekretär und Gestapo-Mitarbeiter Wilhelm Klar (*23.11.1911 Altenkirchen + 2.2.1963 Wissen) aus Altenkirchen(4) genannt, Mitglied der NSDAP seit dem 1.2.1930 und der SA als Obersturmbannführer(5). Dieser befand sich um diese Zeit in französischem Gewahrsam.

Der Zeitpunkt der Tat muss nicht mit der Angabe des Totengräbers übereinstimmen. Allein die Tatsache, dass die Identität des Opfers 1947 nicht mehr anzugeben war, könnte durch die Umstände zum Zeitpunkt der Eintragung begünstigt worden sein. Es ist jedoch grundsätzlich ziemlich unglaubwürdig, dass der Name eines Gefangenen nicht mehr feststellbar gewesen sein soll. Es könnte sich um den Versuch handeln, die Spur zum Täter zu verwischen. Andererseits wird geschätzt, dass in Frankreich nur etwa drei Viertel der Soldatenschicksale aufgeklärt werden konnten. Eine Nachfrage im zuständigen französischen Archiv ergab 2011 keine weiteren Erkenntnisse, als sie aus dem im folgenden Text vorhandenen Material des französischen Militärgerichts gezogen werden konnten.(6)

In den Listen der von der deutschen Seite 1940 übermittelten in deutsche Hände gefallenen Soldaten wird in der No. 39 vom 14.11.1940 René Fusil als einziger dieses Namens genannt (*1.8.1917 Cahors, Departement Lot, Region Midi-Pyrénées). Eine Nachfrage (7) dort ergab, dass es sich nicht um den in Altenkirchen erschossenen Gefangenen handeln konnte, da dieser Namensträger erst 1966 verstorben ist.

Das Militärgericht verurteilte in zwei Instanzen Wilhelm Klar wegen zweifachen Mordes. In erster Instanz erging ein Urteil, das auf Todesstrafe lautete(8). In der Revision wurde auf Zwangsarbeit von unbestimmter Dauer erkannt. Diese wurde am 20.12.1952 auf 20 Jahre beschränkt, der Verurteilte wurde am 4.5.1955 bedingt freigelassen. (9)

Ein neues Licht auf diesen Fall wirft ein kürzlich in den Akten der Evangelischen Kirchengemeinde Altenkirchen aufgetauchtes Bittgesuch des damaligen Pfarrers Hackler an den französischen Hochkommissar in Deutschland vom 25.5.1952 (10). Pfarrer Hackler wies darauf hin, dass der Leichnam des französischen Gefangenen - wohl entgegen sonstiger Übung- nicht nach Frankreich umgebettet wurde. Ansonsten unbelegt stellte Pfarrer Hackler fest, wenn seine Informationen zu Recht bestünden, sei René Fusil „als deutscher Agent unter seinen französischen Kameraden tätig gewesen“. (11)

In den Urteilen tauchte von René Fusil nur der Name auf, vom zweiten Opfer hieß es, es sei ein russischer Zivilarbeiter gewesen. Nach den Angaben des Totengräbers im Standesamt Altenkirchen ist am 11.11.1944 der polnische Zwangsarbeiter Marian Hichenski „im Gefängnis verstorben“. (12) Er könnte das zweite Opfer Klars gewesen sein. Dem Versuch einer Klärung dieser Personalie in Polen war bisher kein Erfolg beschieden.


Quellen


(1) Herrmann, Manfred: ++ zielvorgabe: raum altenkirchen ++. Aus dem Kriegstagebuch einer Westerwälder Kreisstadt und ihrer Umgebung 1939-1945.- Wissen 2005, S.154

(2) Sterberegister Altenkirchen 42/1947: Texteintrag: unbekannter französischer Kriegsgefangener Februar 1945 erschossen

(3) Vernehmungsprotokoll in den Akten der VG Altenkirchen. Der Befragte gibt als Täter den Gestapo-Beamten Wilhelm Klar an.

(4) Standesamt Altenkirchen – Geburten Nr. 98/1911; Standesamt Wissen – Sterbefälle 17/1963

(5) Datum enthalten im Urteil vom 6. August 1947

(6) Korrespondenz des Autors mit dem zuständigen französischen Ministerium in Paris 25.2.2011

(7) Korrespondenz des Autors mit dem Stadtarchiv Cahors vom 24.8.2010

(8) das Urteil Nr. 64 am 6. August 1947 durch die zweite Kammer des Tribunal General de Gouvernement Militaire de la Zone Francaise d’Occupation en Allemagne

(9) durch die vereinigten Kammern des Rastatter Gerichts als Urteil Nr. 270 am 22. September 1947

(10) Archiv der Evangelischen Kirchengemeinde Altenkirchen 08-5/1952

(11) Mitteilung Pfarrer Martin Autschbach vom 4.12.2015

(12) siehe Anmerkung (3)




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