Der westerwälder Kleinbauer im Zeichen der Wirtschaftskrise

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Der westerwälder Kleinbauer im Zeichen der Wirtschaftskrise


Ein regionales Zeugnis der frühen dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts

von Heinrich Schäfer


Der nachfolgende Text stammt von Heinrich Schäfer, geboren 1893 in Reuffelbach, heute Ortsteil von Mammelzen, dem Nachbarort der Kreisstadt Altenkirchen, gestorben 1974 in Hamm/Sieg.Er wurde Anfang der 30er Jahre verfasst, nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise im Herbst 1929, aber vor Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft Ende Januar 1933, also wohl 1931/32.Dieser unveröffentlichte Bericht wurde von Günter Heuzeroth in dem Nachlass von Hedwig Schäfer- Eichbauer, Hamm/Sieg gefunden.


Der Text wurde in seiner historischen Schreibweise belassen. Zur besseren Übersicht wurden bei der Übertragung der 5 1/2 Schreibmaschinenseiten lediglich die Absätze eingefügt.Das Original hat keine. Die Übertragung besorgte Dr. Eberhard Blohm. Von ihm stammt auch die Unterüberschrift als Hilfe zu Einordnung.


Die lähmende Wucht, mit der die Wirtschaftskrise den inneren Mechanismus der Weltwirtschaft fast zum Stillstand gebracht hat, ist auch nicht wirkungslos beim Bauerntum vorübergegangen. Wer sollte denn auch von dieser wirtschaftlichen Misere verschont bleiben, wo die fundamentalen Kräfte der Weltwirtschaft zu zersplittern drohen?! Überall, wo man eine Zivilisation kennt, wo das Geld den Warenaustausch regelt, da fordert die Weltwirtschaftskrise ihre Opfer. Sie verschont keinen und sei es der über Millionenwerte an Realkapitalien verfügende Riesentrust. Eine solche Revolution, wie sie sich augenblicklich in der Wirtschaft vollzieht, wo man bald an eine Umwertung aller Werte glauben sollte, weiß die Weltgeschichte nicht zu berichten. Hart packt die Wirtschaftskrise ihre Opfer an, unbarmherzig läßt sie jegliche Prosperität schwinden.

Unter den besonders hart angepackten Opfern der Wirtschaftskrise befindet sich auch der westerwälder Kleinbauer. Kleinbauern, so darf man sie ja alle nennen, die Bauern auf dem Westerwald. In vielen Fällen, da reicht der Grundbesitz noch nicht einmal aus, um den Namen Kleinbauer zu rechtfertigen! Die Agrarwirtschaft fordert auf dem Westerwald, mit seinem kargen Boden und rauhen Klima, ihren ganzen Menschen! Dies weiß der westerwälder Bauer, sein Äußerstes muß er hergeben, um seine und die Existenz seiner Familie zu sichern. Ja, hartes Schicksal, auf kargem Boden sein Leben zu fristen! Und dennoch ist er eng verwachsen, dieser westerwälder Bauer, mit seinem kargen, steinigen Acker, auf dem er sich abmühen und abplacken muß. Ein biederer Menschenschlag ist es, dort oben auf dem Westerwald, mit ihren wetterbraunen Gesichtern und zerfurchten, schwieligen Händen!

Schon schien es, daß mit der industriellen Erschließung des Westerwaldes sich die soziale Lage der Bevölkerung bessere; da stieg aber das Gespenst der Wirtschaftskrise auf und versetzt die Menschen in Schrecken. Die Industrie gab ja manchem Kleinbauern, der nur über wenige Morgen Ackerland verfügte, die Möglichkeit, sich eine Verdienstquelle zu erwerben. Und heute hat sich das Bild wieder gewaltig verschoben. Die Siegerländer Eisenindustrie, das weitverzweigte Erzgruben-Netz, die Basaltsteinbrüche auf dem Hohen Westerwald und die Tonindustrie des „Kannenbäckerlandes“ , sie brachten wirklich einen wirtschaftlichen Aufschwung und halfen mit, die wirtschaftliche Situation der westerwälder Bevölkerung und im Besonderen des westerwälder Kleinbauern wesentlich zu verbessern.

Diese Industriezweige liegen heute zum großen Teil brach. Der westerwälder Kleinbauer ist ja schon gezwungen, einer Beschäftigung in der Industrie nachzugehen, denn allein von seinem Ackerbau kann er die Bedürfnisse einer ganzen Familie nicht bestreiten. Allenfalls würde ihm seine Agrarwirtschaft Essen und Trinken liefern, aber dazu kommen noch so mancherlei Anschaffungen, wo ihn sein karger Acker verläßt, und wo er sich umschauen muß nach anderen finanziellen Einkünften! Er benötigt ja Kleidung für sich und die Seinen und noch so mancherlei andere Dinge, die er einfach nicht aus seinem kleinen landwirtschaftlichen Betrieb herauswirtschaften kann. Ja, wäre die Wirtschaftskrise nicht gekommen und hätte die Hochöfen und die Eisenwerke und die Erzgruben stillgelegt, dann könnte der westerwälder Kleinbauer hoffnungsvoller in die Zukunft schauen.

„Wohin steuern wir nun?“ so fragt sich mancher westerwälder Kleinbauer! „Soll uns wieder das Los bitterer Armut zufallen, das einst unseren Vätern beschieden war?“ Gar ärmlich lebten früher die kleinbäuerlichen Familien auf dem Westerwald in ihren Fachwerk-Häuschen. Einzig und allein waren sie auf die geringen Einkünfte angewiesen, die sie mit Mühe und Not aus ihrer kleinen Ackerwirtschaft herauspreßten! Kaum reichte es für das Notwendigste. Dann und wann gab es mal die Gelegenheit, sich einige Groschen bei Wegebau-Arbeiten zu verdienen. Ja, man leistete gerne eine ganze Tagesarbeit für wenige Groschen, um wenigstens etwas Bargeld in die Finger zu bekommen. Man mußte äußerst sparsam leben, ja in den meisten Fällen so, daß Einfachheit und Genügsamkeit auf das Mindestmaß herabgeschraubt wurden. Harte Arbeit, reiche Entbehrungen, soziale Not, das war das Lebensschicksal der Alten! „mag uns der Himmel gnädig sein und uns vor solchen Nöten bewahren!“ so hören wir aus dem Munde des westerwälder Kleinbauern sprechen. Man zittert vor der Wirtschaftskrise, weil die wirtschaftliche Existenz bedroht ist.

Wie viele Kleinbauern, die in der Industrie beschäftigt waren, sind arbeitslos geworden und haben ihre Verdienstquelle verloren! Und nun fehlen die finanziellen Einkünfte, auf die man doch so notwendig rechnete!

Ja, hätte der westerwälder Kleinbauer immer einen schuldenfreien Hof! Aber da ist noch manche Erbschuld, die von der Teilung her noch auf dem Hofe ruht. Derjenige, der den Hof übernimmt, muß die Erbforderungen der Geschwister auszahlen. Der Bauer muß nun sehen, wie er seine Schulden abtragen kann. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als eine Arbeit in der Industrie anzunehmen, um auf diese Weise Geld zu verdienen. Vor der Wirtschaftskrise, da war es nicht so schwer, als die Eisenwerke und Gruben noch in Betrieb waren, eine passende Arbeit zu finden.

Aber das Arbeiten in der Industrie hatte auch seine Schattenseiten. Wer sollte denn nun die landwirtschaftliche Arbeit tun? Die durfte doch keineswegs liegen bleiben. Da wanderte denn der größte Teil der landwirtschaftlichen Arbeit zur Frau über. Sie mußte für den Mann in die Bresche springen. Neben ihren häuslichen Pflichten mußte sie in der Hauptsache die Bestellung des Ackers und die Versorgung des Viehs übernehmen. Ihre Aufgabe war eine doppelt Schwere! Die Frau hätte es ja leichter gehabt, wenn sich der Bauer einen Knecht gedingt hätte, der die landwirtschaftliche Arbeit hätte versehen können. Aber dann wäre es ja zwecklos gewesen, daß er in der Industrie einer Beschäftigung nachginge. Sein Verdienst sollte doch dem Unterhalte seiner Familie dienen, und auch die Schuld, die Teilungsschuld, wollte er damit amortisieren. Wenn er einen Knecht bezahlen sollte, ja dann hätte er auch daheim bleiben können. Nein, der zähe Wille trieb ihn, so bald wie möglich auf schuldenfreiem Acker wirtschaften zu können. So lange es ihm seine Kräfte gestatten, möchte er gern schwere körperliche Arbeit leisten, um auf einen grünen Zweig zu kommen und um seinen Kindern später unterstützend zur Seite zu stehen.

Manchmal hatte der Bauer ja Glück und fand in einer in der Nähe seines Dorfes liegenden Erzgrube Beschäftigung als Bergmann. Das Los des Bergmanns ist zwar auch nicht leicht. Da unten in der Erde zu arbeiten, das hat auch seine doppelte Plage! Aber der Bauer war schon zufrieden, wenn er nach beendeter Schicht in der Grube sich nach Hause begeben konnte, um selbst noch den landwirtschaftlichen Betrieb versehen zu können. Oft kam es vor, daß der Bauer im Siegerland oder in den Basalt-Steinbrüchen des hohen Westerwaldes Arbeit gefunden hatte. Da war es ausgeschlossen, nach beendeter Schicht nach Hause zu kommen. Höchstens samstags durfte er daran denken, nach Hause zu fahren, um wenigstens über Sonntag im Familienkreise weilen zu können. Aber Sonntagsruhe, die ihm freilich notgetan hätte, gönnte er sich keine. Wo in einem landwirtschaftlichen Betrieb kräftige Männerarme fehlen, da gibt es noch mancherlei zu tun und nachzuholen!

Die industrielle Erschließung des Westerwaldes hat den Kleinbauern weitgehend unterstützen können und es ihm ermöglicht, nach Jahren schwerster körperlicher Arbeit und reichen Entbehrungen wenigstens ein eigenes, schuldenfreies Dach über dem Kopfe zu bekommen. Früher, als die industrielle Entwicklung noch nicht so fortgeschritten war, da war es so, daß der westerwälder Kleinbauer fast garnicht daran denken konnte, seine Schulden zu tilgen. Zeitlebens mühte und plagte er sich ab, und wenn er meinte, überm Schuldenberg hinweg zu sein, dann waren seine Hände zittrig geworden, dann war er ein alten Mann. Und dennoch ist der Westerwälder, trotz der Rauhheit des Klimas und trotz der Kargheit des Bodens, eng mit seiner heimatlichen Scholle verbunden. Die heimatliche Scholle geht ihm über alles, sie ist ihm alles, sie ist ihm Leben! Das festblickende Auge und die zerfurchte, kantige Stirn des westerwälder Menschen, das Derbe, Urwüchsige in seinem Wesen lassen den heroischen Kampf erkennen, den er führen muß, um der Natur entschlossen die Existenzgrundlagen abzuringen.

Und heute schaut die Bevölkerung des Westerwaldes gar sorgenvoll in die Zukunft! Die produktiven Stätten der Industrie sind lahmgelegt, und die Maschinen sind dem verrosten preisgegeben! Auch in den meisten Erzgrubenruht der betrieb. Nur auf einzelnen der stillgelegten Erzgruben arbeiten die Pumpen, um die Schächte vor dem Ersaufen zu bewahren. Ebenfalls in den Basalt-Steinbrüchen ist es recht still geworden, geradezu unheimlich still. Welch reger Betriebsamkeit begegnete man dort früher. Westerwälder Basalt war beliebt und sehr gefragt bei Wege- und Chausseebauten! Hochgetürmte Basalthalden sieht man heute, aber das Leben, der wirtschaftliche Impuls fehlt. Überall die Spuren der Wirtschaftskrise! Unheimlich, katastrophal!! Man ist geduldig, man wartet ab, die ganze Welt wird ja erschüttert von der Krise. Der westerwälder Kleinbauer tröstet sich, er ist es ja nicht allein, mit ihm schweben ja Tausende, ja Millionen in der gleichen Ungewißheit über das künftige Schicksal! Einmal wird sich doch wohl das Rad der Weltwirtschaft wieder drehen!?

Mit den Preisen für die Agrar-Produkte ist es durch das enorme Überangebot auf den Warenmärkten auch gar schlecht bestellt. Überall macht sich die mangelnde Kaufkraft des Volkes bemerkbar, wodurch die Preise automatisch zum Sinken gebracht werden. Im Großen und Ganzen ist ja der westerwälder Kleinbauer kaum in der Lage, in Anbetracht der durchschnittlichen geringen Bebauungsfläche, die ihm zur Verfügung steht, eine größere Menge an Produkten für den Verkauf aus seiner Agrarwirtschaft herauszuschlagen. Wenn er ja wenigstens einen angemessenen Preis für seine Produkte bekäme, um dadurch die Rentabilitätseiner Agrar-Wirtschaft zu sichern! Den künstlichen Dünger, den er jährlich kaufen muß, ja, diese Auslagen ist er kaum im Stande herauszuwirtschaften. Schon in diesem Jahre hat der Bauer ordentlich am Dünger sparen müssen, weil ihm einfach die finanziellen Mittel fehlten, ihn zu kaufen. Und dies kann man sehr deutlich an der jungen Frucht merken, zumal, wenn der Boden karg und steinig ist, wie auf dem Westerwald.

Das Wohnhaus und die übrigen Gebäulichkeiten verschlingen auch laufend Kosten für Reparaturen. Der Fachwerkbau, der schon verschiedene Generationen überdauert hat, wird allmählich ausbesserungsbedürftig. Obwohl die stabilen, eichenen Gerüstbalken noch relativ wenig gelitten haben, sind doch die Lehmwände recht dünn geworden. An einen Neubau darf der westerwälder Kleinbauer zurzeit ja garnicht denken. Erst müssen sich mal wieder die wirtschaftlichen Verhältnisse Grundlegend ändern. Vielleicht dann einmal, diesen letzten Hoffnungsschimmer hat der westerwälder Kleinbauer noch, wenn seine Söhne mithelfen können, Geld zu verdienen.

Eine wachsende Sorge für den westerwälder Kleinbauer sind die hohen Steuerbelastungen! Woher soll er die Steuergelder beschaffen, da doch die Verdienstmöglichkeiten in der Industrie im Großen und Ganzen dahin sind? Und auch der Erlös für die auf den Markt gebrachten Produkte ist so bescheiden, daß der Bauer kaum die Selbstkosten damit decken kann! Ja, würde der unselige Geist der Wirtschaftskrise nur bald wieder geregelten wirtschaftlichen Verhältnissen Platz machen, damit der rückläufigen Bewegung und ihrer verhängnisvollen Wegbereitung zur sozialen Verelendung des Volkskörpers Einhalt geboten wird! Der westerwälder Kleinbauer, dem die Wirtschaftskrise besonders harte Opfer auferlegt, wartet sehnsüchtig auf den Tag, wo die Industrie wieder arbeitet, und wo das Geld wieder regelmäßig zirkuliert! Dann hat er wenigstens wieder die Gewißheit, jetzt geht es vorwärts und nicht bergab, dem ungewissen Schicksal, der sozialen Verarmung entgegen!!










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