Töchterschule

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Die Altenkirchener Höhere Töchterschule


von Kirsten Seelbach/ Copyright Kirsten Seelbach/AKdia 2009


Seit der Gründung der Lateinschule [1521 durch Graf Johann von Sayn. Vgl. Hanke, Eckard: Altenkirchen – Westerwald. Vom Wandel einer Stadt. Altenkirchen, 1988. S.60] gab es für Jungen in Altenkirchen die Möglichkeit des Zugangs zur höheren Bildung. Für Mädchen gab es lange Zeit nichts dergleichen [Laut Hanke wurde erst 1861 eine Privatschule für Höhere Töchter eingerichtet. Vgl. ebd. S. 61]: „Eine glückliche Gattin und Mutter zu werden wird immer das erstrebenswertheste Ziel für die Frau bleiben“ [Anonym, „Eine Frau über Frauenstudium“. In: Hochschul-Nachrichten 23/ 1892. München, 1892. S. 27]. Dafür mussten die Mädchen keine Schule besuchen, und schon gar keine höhere Schule. Doch im 19. Jahrhundert änderten sich die Ansprüche an die Mädchenbildung. Wer nicht heiratete, musste seinen Lebensunterhalt auf andere Art und Weise verdienen. Einige Mädchen hofften, durch höhere Bildung und eventuell sogar ein Studium in Berufen Fuß zu fassen, die seit Jahrhunderten Männern vorbehalten waren.

Bereits im Jahre 1820 durften in Altenkirchen die ersten Mädchen die Rektoratsschule besuchen [Vgl. Viehmeyer, Heinz: Die Entwicklung der Lateinschule in Altenkirchen zum Neusprachlichen Gymnasium. Altenkirchen, 1959.S. 48]. Sie bildeten eine eigene Klasse und waren eine echte Sensation, denn Frauen wurde jede intellektuelle Fähigkeit abgesprochen. Von der biologischen Tatsache, dass das weibliche Gehirn weniger wiegt als das männliche, wurde geschlossen, dass auch die Gehirnfunktionen entsprechend geringer waren. Man befürchtete, dass durch Überanstrengung des weiblichen Gehirns den Frauen ernsthafter Schaden zugefügt werden könnte.

Das galt vor allem für die sogenannten ‚höheren Töchter‘. Bis zum 19. Jahrhundert galt ein Mädchen als gebildet, wenn sie feine Handarbeiten anfertigen, malen und zeichnen, singen, musizieren und tanzen sowie einige Fremdsprachen sprechen konnte [Vgl. Jane Austen, Pride and Prejudice (1813). New York, 1981. S. 29]. Das reichte auch aus, wenn eine solche Tochter mangels Heiratsgelegenheit oder Familienbeziehungen als Gouvernante oder Hausdame ihren Lebensunterhalt verdienen musste. Es genügte aber nicht, um ein Studium aufzunehmen, um beispielsweise Ärztin oder Lehrerin zu werden. 1851 beantragten Altenkirchener Eltern schließlich die Einrichtung einer privaten Töchterschule, in der ausschließlich Mädchen unterrichtet werden sollten. 1853 wurde diese Privatschule zur Höheren Töchterschule umgewandelt. 13 Mädchen besuchten die Schule, an der Privatlehrer Anton Müller aus Altenburg unterrichtete. Auch Pfarrer Bungeroth und Rektor Troost von der Rektoratsschule erteilten jeweils zwei Stunden Unterricht pro Woche. Als Lehrer Müller 1854 ging, wurden Lehrer von der Rektoratsschule an der Höheren Töchterschule eingesetzt. Es gab sogar eine Lehrerin, Fräulein Spott. Die Unkosten trugen die Eltern [Vgl. Viehmeyer S. 59, 62f].

Was den Unterricht anging, so hielt dieser sich wohl in Grenzen. Mathematik, alte Sprachen oder Sachkunde dürften, wenn überhaupt, nur in sehr geringem Maße gelehrt worden sein. Dafür gab es aber regelmäßigen Handarbeitsunterricht bei Fräulein Spott, während dessen vorgelesen wurde. Die Bücher für diese Stunden durften die Mädchen gegen einen Monatsbeitrag aus der Schülerbibliothek der Rektoratsschule ausleihen. Jede Woche durften sie ein neues Buch auswählen! [Vgl. Viehmeyer S. 64] „Schon lange war es von Frauen und Männern beklagt worden, daß die bisherige Bildung der ‚höheren Töchter‘ zu sehr das Dekorative, die Pflege des Gefühls, die ästhetische Lebensgestaltung bevorzugt habe“ [Mausbach, Joseph: Frauenbildung und Frauenstudium im Lichte der Zeitbedürfnisse und Zeitgegensätze. Münster, 1910. S. 11]. Das änderte sich erst mit der Mädchenschulreform Ende des 19. Jahrhunderts. Theoretisch sollte der auf einer Höheren Töchterschule unterrichtete Stoff dem der gymnasialen Unterstufe für Jungen entsprechen. Als 1867 die private Höhere Töchterschule, die sich ab 1857 im alten Pfarrhaus neben dem Rektorat befand, aufgelöst wurde, durften die weiterhin lernwilligen Mädchen am Unterricht der Rektoratsschule teilnehmen. Es gab dort eine eigene Mädchenklasse, die alle Fächer außer Latein, Griechisch und Mathematik lernen durfte. Statt dieser Fächer wurden andere, wie Religion und natürlich Handarbeiten, öfter unterrichtet [vgl. Viehmeyer S. 68].

Die Mädchenklasse der Rektoratsschule behielt den Namen Höhere Töchterschule bei. 1892 wurde die Klasse an die Höhere Stadtschule angegliedert, weil die Rektoratsschule wieder reine Knabenschule werden sollte [Vgl. Viehmeyer S. 74 f ]. Die Jungen sollten dort gezielt auf den Besuch der gymnasialen Oberstufe vorbereitet werden, was aber für Mädchen als unnötig angesehen wurde. Die Höhere Töchterschule an der Stadtschule hatte keine Oberstufe. Überhaupt war die Zielsetzung recht unklar, denn der Besuch der Klasse berechtigte weder zum Besuch einer Oberstufe an einem Mädchengymnasium noch zum Studium. Wahrscheinlich galt hier der Grundsatz: „Weil der Schwerpunkt des Lebens für die große Mehrheit der Frauen im Hause und in der Familie liegt, muß sich auch die Bildungsarbeit zunächst auf die tüchtige Ausrüstung für den Stand der Ehe und Mutterschaft richten“ [Mausbach S. 9]. Dafür war es nicht nötig, eine akademische Vorbildung zu besitzen. Erst 1904 wurden Mädchen wieder an der Rektoratsschule aufgenommen. Jetzt durften sie dort auch Abitur machen: Die Höhere Töchterschule (immer noch nur eine Klasse) umfasste die Klassen Sexta bis Prima [Vgl. Viehmeyer S. 77, 80]. Das Jahr 1904 sah auch die erste Lehrerin an einer staatlichen Schule in Altenkirchen. Anna Koch hatte bereits 1883 ihr Examen in Koblenz abgelegt. Sie unterrichtete Sprachen und Sachfächer – auch dies eine Neuerung, denn bisher waren Lehrerinnen höchstens im Handarbeits- und Turnunterricht eingesetzt worden [Vgl. Krämer, Heinz: „Anna Koch, die erste Lehrerin in Altenkirchen“. In: HJB 1999, S. 263].

„Halbbildung und Müssiggang schaffen ungesunde Zustände im Gemüt der Frau; rechte, gründliche Bildung kann immer nur zur Besserung und Veredlung beitragen“ [Frost, Laura: „Gegen den schädlichen Einfluss des Frauenstudiums“. In: Academische Revue 3/ 1896/97. München, 1897. S. 568]. Entsprechend wurde auch der Lehrplan für Mädchen dem Lehrplan für Jungen angeglichen. Trotz weitgehend gleichen Lehrplans (der Handarbeitsunterricht blieb natürlich den Mädchen vorbehalten) bleiben die Klassen getrennt. Die Mädchenklasse blieb auch weiterhin als Höhere Töchterschule eine „Schule in der Schule“. Das blieb auch so, bis mit der Umwandlung der Rektoratsschule in eine Zubringerschule 1939 Mädchen und Jungen in gemischten Klassen unterrichtet wurden und die Höhere Töchterschule endgültig aufgelöst wurde [Vgl. Viehmeyer S. 81].

Literatur

  • ANONYM: „Eine Frau über Frauenstudium.“ In: Hochschul-Nachrichten 23/1892. München, 1892. S. 27.
  • AUSTEN, Jane: Pride and Prejudice (1813). New York, 1981.
  • FROST, Laura: „Gegen den schädlichen Einfluss des Frauenstudiums.“ In: Academische Revue 3/ 1896/97. München, 1897. S. 566-568.
  • HANKE, Eckard: Altenkirchen – Westerwald. Vom Wandel einer Stadt. Altenkirchen, 1988.
  • KÄPPELE, Karl: Altenkirchen in alten Ansichten. Europäische Bibliothek. Zaltbommel/ NL, 1981.
  • KRÄMER, Heinz: „Anna Koch, die erste Lehrerin in Altenkirchen“. In: Heimatjahrbuch des Kreises Altenkirchen 1999. S. 263-264.
  • MAUSBACH, Joseph: Frauenbildung und Frauenstudium im Lichte der Zeitbedürfnisse und Zeitgegensätze. Münster, 1910.
  • VIEHMEYER, Heinz: Die Entwicklung der Lateinschule in Altenkirchen zum Neusprachlichen Gymnasium. Altenkirchen, 1959.

Erstveröffentlicht im Jahrbuch des Westerwald-Gymnasiums.

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