Postkarten aus Lodz

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Postkarten aus Lodz


von Daniela Tobias / tobiasherz.de, AKdia Dezember 2017


Bei der Recherche auf der Webseite des Staatsarchivs Lodz (Polen) wurde kürzlich eine Postkarte gefunden, die der jüdische Metzger Adolf Tobias aus Altenkirchen aus dem Ghetto Lodz an einen Freund daheim schrieb. Da sie jedoch nie verschickt wurde, liegt sie heute in besagtem Archiv, das den Bestand dankenswerterweise öffentlich zugänglich gemacht hat. Aus der Forschung zum Großvater meines Mannes, Albert Tobias, war mir bereits bekannt, dass im polnischen Lodz ein Konvolut von etwa 20.000 Postkarten erhalten geblieben ist, die die Ghetto-Insassen im Winter 1941/42 nach ihrer Ankunft an die Daheimgebliebenen geschrieben hatten. Dr. Karola Fings, vom NS-Dokumentationszentrum Köln hatte uns auf einige für uns relevante Postkarten hingewiesen, da sie 2012 zusammen mit Hildegard Jacobs an einer Dokumentation über die Deportationen der Juden aus dem Rheinland im Herbst 1941 ins Ghetto Litzmannstadt (Lodz) arbeitete und die Bestände des Staatsarchivs Lodz gut kannte.

Die etwa dreitausend Juden, die Ende Oktober 1941 von Köln und Düsseldorf aus nach Lodz deportiert worden waren, durften erst nach dem 4. Dezember 1941 ein Lebenszeichen nach Hause schicken. Das Postamt stand unter jüdischer Selbstverwaltung. Da die Post der Zensur unterlag, wurde man dort wahrscheinlich dem Ansturm nicht mehr Herr, so dass ein großer Teil der Karten gar nicht befördert wurde, sondern unbearbeitet im Ghetto verblieb. Bereits Anfang Januar 1942 wurde eine neue Postsperre auferlegt, so dass die meisten Angehörigen nie etwas über das weitere Schicksal der Deportierten erfuhren.

Albert Tobias, mein Schwieger-Großvater, war ein Neffe von Tobias Tobias, genannt Theodor, aus Oberwambach. Theodor (1851-1921) und seine Frau Johanna Levy (1851-1914) liegen auf dem Jüdischen Friedhof Altenkirchen begraben. Ihre Kinder Thekla (* 21. Dezember 1882 Oberwambach) und Adolf (*18. Juni 1889 Oberwambach) hatten in Altenkirchen an der Marktstraße 14 die Metzgerei vom Vater übernommen. Im Gegensatz zu seinen Geschwistern war das mittlere Kind Max (* 22. Juli 1884 Oberwambach) verheiratet und betrieb in Mayen ein Schuhgeschäft. Alle drei Geschwister blieben kinderlos.

Thekla und Adolf Tobias wurden am 22. Oktober 1941 mit dem ersten Transport aus Köln zusammen mit 1000 Leidensgenossen nach Lodz "ausgesiedelt". Sie lebten dort an der Hohensteiner Straße, die das Ghetto in zwei Teile teilte. Die Straße selber war nicht Teil des Ghettos und eine Fußgängerbrücke verband beide Seiten miteinander. Die Unterkünfte waren hoffnungslos überfüllt und oft teilten sich mehrere Familien eine Wohnung. Die Transporte aus dem Rheinland wurden zunächst als "Kollektiv" gemeinsam untergebracht. Ob Adolf und Thekla wussten, dass ihr Cousin Albert mit dem zweiten Transport aus Köln ins Ghetto gekommen war, ist nicht bekannt, denn sie erwähnten sich nicht gegenseitig in den Postkarten, die sie in die Heimat schrieben.


Adolf Tobias schrieb am 7. Dezember 1941 an seinen Freund Heinrich David, einen Viehhändler aus Hamm an der Sieg, der zu dieser Zeit in Köln an der Maastrichter Straße 43 lebte: "Lieber Freund, seit dem 23. Okt. bin ich hier, es geht mir und meiner Schwester gut, ich hoffe daß Ihr auch alle gesund seit [sic]. Wenn Du kannst schicke mir bitte etwas Geld, ich kann es sehr gut gebrauchen, wie geht es meinem Bruder Max und Schwägerin, grüße bitte selbige. Freundl. Grüße für Dich u. Deine Frau sowie Tochter Ilse. Dein Freund Adolf Tobias, Hohensteinerstr. 53/22"

Vorderseite: http://www.szukajwarchiwach.pl/39/278/0/30/2318/str/1/12/15/YvvHNNGE6nyal4MzThcJkw/#tabSkany

Rückseite: http://www.szukajwarchiwach.pl/39/278/0/30/2318/str/1/12/15/saVP7wNbcXk_Oa4hbEdigw/#tabSkany

Heinrich David war nach der Pogromnacht mit seiner Frau Hedwig und Tochter Ilse nach Köln verzogen. Im Gegensatz zu zweien seiner Geschwister gelang ihm die Ausreise in die USA nicht. Alle drei wurden am 27. Juli 1942 nach Theresienstadt und am 28. September 1944 weiter nach Auschwitz deportiert, wo sie ermordet wurden.

Am 19. Dezember 1941 schrieb Paula Moses eine Karte aus Lodz an ihren Bruder Albert Abraham in Altenkirchen, Kölner Straße 13, worin sie auch Adolf und Thekla Tobias erwähnt:

"Meine Lieben, Ich habe die ganze Woche nichts von Euch gehört, hoffe daß Ihr gesund seid, wie ich es G. s. D. [Gott sei Dank] auch bin. Ich denke oft an Euch, ob Ihr schon zur Kur fort seid, oder seid Ihr noch zu Hause. Von Veith Ingelbach brachte man gestern die Irene zum Kumpsweg. Ihr habt sicher inzwischen Post von mir gehabt, u. kann ich auch heute wieder Gutes von mir melden. Von Euch hoffe dasselbe. Wir entzünden jeden Abend u. singen dass die Wände wackeln. Vorige Woche waren Thekla und Adolf mal bei mir, es geht ihnen gut. Hedwig kommt auch öfter. Ich hoffe bald auf Post von Euch. Innige Grüße u. Küsse von Eurer Euch sehr liebenden Paula"

Es muss offen bleiben, ob die Kur eine für die Zensur verabredete Bezeichnung für die Deportation war oder eine spöttische Bezeichnung der Betroffenen.

Der Jüdische Friedhof der Synagogengemeinde Altenkirchen liegt an der Kumpstraße . Für Ortskenner dürfte dieser Hinweis genügt haben, dass Irene Veith den Tod gefunden hatte.

Vorderseite: http://www.szukajwarchiwach.pl/39/278/0/30/2318/str/1/23/100/_jrYyVzyBjXLiJtkqn_0SA/#tabSkany

Rückseite: http://www.szukajwarchiwach.pl/39/278/0/30/2318/str/1/23/100/YQMDK3gNM3nnH-EjGbS5-g/#tabSkany

Paula Moses (geboren am 29.5.1876 in Altenkirchen) war die einzige Schwester von Albert Abraham. Sie war in zweiter Ehe mit Daniel Moses aus Köln verheiratet, der 1939 in Köln starb. Sie wurde am 22.10.1941 nach Lodz deportiert und im Mai 1942 von Lodz nach Chelmno/Kulmhof verschleppt und dort ermordet.

Die in ihrer Karte erwähnte Irene Veith (geboren am 4.4.1924 in Oberingelbach) wurde mit ihren Eltern und Geschwistern am 30.10.1941 ins Ghetto Lodz deportiert. Sie starb dort am 12.12.1941.

Die ebenfalls erwähnte Hedwig war Hedwig Abraham (geboren 10.4.1891 in Altenkirchen), die am 1.5.1942 nach Chelmno verschleppt und dort ermordet wurde.

Der Viehhändler Albert Abraham und seine Frau Jeanette wurden am 28. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Seine Frau starb bereits im August 1942 im Ghetto. Albert Abraham wurde am 19. September 1942 nach Treblinka verschleppt und ermordet.

Adolf Tobias starb am 18. November 1942 im Ghetto Lodz im Alter von nur 53 Jahren. Unzureichende Ernährung, mangelnde Hygiene und kaum medizinische Versorgung hatten zahlreiche Todesopfer zu Folge. Seine Schwester Thekla überlebte noch anderthalb Jahre im Ghetto und wurde am 12. Juli 1944 nach Chelmno verschleppt und ermordet.

Der erwähnte Bruder Max Tobias (geboren am 22.7.1884 in Oberwambach) war mit seiner Frau Nelli geborene Salomon (geboren 18.1.1891 in Altenkirchen) zunächst in die Niederlande geflüchtet. Beide wurden Ende September 1942 von Westerbork nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.





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