Nicolas Theis Luxemburger im Westerwald 1944/45

Aus AKdia
Zur Navigation springenZur Suche springen

https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ Urheberrecht: Dieser Artikel ist lizenziert unter einer "Creative Commons Namensnennung 4.0 Deutschland Lizenz"

Zurück zur Übersicht


Auszüge aus Nicolas Theis: Der Luxemburger im Westerwald 1944/45. 112 S., Luxemburg 1951.


von Eberhard Blohm/AKdia, Februar 2016


Nicolas Theis schrieb die Erinnerungen an seine Zeit als Kaplan in Horhausen vom 10. Juli 1944 bis zum 26. März 1945 einige Jahre nach den Ereignissen nieder. Sie wurden 1951 in Luxemburg veröffentlicht.

Mir ist keine zu so früher Zeit nach dem Krieg veröffentlichte regionalgeschichtliche Darstellung bekannt, die den Raum von Altenkirchen bis Horhausen in dieser Zeit betrifft und aus der Perspektive eines ins Deutsche Reich strafversetzten katholischen Geistlichen berichtet, der durch seinen Dienst als Kaplan beide Seiten kennen und bewerten lernte.

Da das Heft bis jetzt im Kreisarchiv nicht vorhanden war, biete ich dem Interessierten Auszüge an, die vielleicht Appetit auf den kompletten Text machen.

(S. 10) Ich hielt es für angezeigt, meine sieben Sachen vor der Sicherheitspolizei in Sicherheit zu bringen. Der deutsche Adler ist nun eben ein Raubvogel, und in jenen Tagen hatte er besonders spitze Krallen und ein raffgieriger Maul.

(S.13) Ich war angeklagt, einer durch und durch deutschfeindlichen Sippe anzugehören, nach meinem letzten Gefängnisaufenthalt rückfällig geworden zu sein und mich als völlig unverbesserlich erwiesen zu haben. Das alles stimmte genau. Zur Strafe und eventuellen Besserung (es bestand wenig Hoffnung) hatte ich am 10. Juli das Land zu verlassen und mich unter dem wachsamen Auge des Koblenzer Gestapopostens, irgendwo in Großdeutschland anzusiedeln…… Vor 1946 durfte ich keinen Fuß auf Luxemburger Boden setzen. Inzwischen würde der endgültige, großdeutsche Sieg errungen sein. Woran ich keineswegs zweifelte…. Am 10. Juli fuhr ich im Trierer Schnellzug in die Verbannung.

(S.14) [Im] Trierer Generalvikariat [erklärte man mir]:“ Sie fahren morgen weg nach dem Westerwald und übernehmen eine größere Pfarrei!“ Ich versprach nichts gegen die Sicherheit des tausendjährigen Reiches zu unternehmen, keinen Zweifel am großen Endsiege aufkommen zu lassen und meine anti-deutschen Gefühle zu unterdrücken und womöglich zu ersticken.“… In den frühen Morgenstunden machte ich...….meine Aufwartung bei der Gestapo in Trier. Am späten Vormittag saß ich… im Koblenzer Schnellzug……

(S.15) Im Cochemer Tunnel arbeiten im gespensterhaften Licht der Laternen, bis an die Knie im Schlamm stehend, französische Kriegsgefangene und luxemburgische Rottenarbeiter. Es waren die Tage der Sklaven!

Koblenz war damals noch eine stolze Stadt, und der Wilhelm ritt noch majestätisch an seinem „Deutschen Eck“. Auf dem Berge trotzte noch immer die „Ehrenbreitstein“. Für uns war es das Symbol verhaßter Fremdherrschaft.

Koblenz hatte schon etwas abbekommen. Aber die Stadt stand noch. Sie würde, wie so viele deutsche Städte, erst rauchen, lichterloh brennen, ausgebombt, ausgeräuchert, zum Totenhaus und Fluchfeld werden müssen, bis die Gewaltigen begreifen sollten, daß es tatsächlich fünf nach zwölf geschlagen.

In Koblenz hauste Gustav Simon, unseligen Angedenkens. Der Zwingherr. Unser Geßler. Koblenz war Zwing-Uri.

…[Ich] wechselte in den Kölner D-Zug hinüber und fuhr den Rhein entlang in gastlichere Regionen, wo die Luft noch reiner, die Atmosphäre gesünder und das Leben irgendwie noch lebenswert war.

(S.16) In Linz fand ich gastliche Aufnahme bei den Weißen Patres.. Gegen Abend stieg ich ein in die Westerwaldbahn. Das Zügli war überfüllt, als ich noch hinzukam. Ich wollte schon…. einen Stehplatz beziehen, als alle Leute sich erhoben. Gleich waren sieben Plätze frei. „Grüß Gott, Hochwürden!

(S.17) Ich fuhr, um ein gutes Stück beruhigt, mit in die Berge, die steilen Hänge hinan, durch wilde Schluchten und endlose Waldungen, immer höher, Kasbach! Kalenborn! Sankt Katharinen! Vettelschoß! Neustadt-Wied! Wiedmühle! Peterslahr! Oberlahr!.. Ich fühlte mich schon wohl unter diesen Leuten. Und wo man wohl ist, da ist man auch zu Hause…

Daß drüben, in jenem wildrauhen Gebiet zwischen Taunus und Siebengebirge, jenseits von Rhein und Lahn, ein herzgutes, quicklebendiges, im Innern unverdorbenes Volk wohnte, daß ich einmal ins Herz schließen würde, wußte und ahnte ich damals noch nicht. Ich ging in die Verbannung….

Ein besseres Sichkennenlernen, engverknüpfte religiöse Bande und gemeinsam getragenes Leid sollten uns, meine Westerwälder Pfarrkinder und ihren Geistlichen aus Luxemburg in ein so herzliches Verhältnis zueinander bringen, daß keine völkischen Unterschiede es zu trüben vermochten.

Die Leute kannten mein Schicksal und achteten meine abwartende Haltung.

(S.18) Als ich in den späten Abendstunden des 11. Juli beim Pfarrhaus von Horhausen vorfuhr, fand ich den Ortsgeistlichen…schwerkrank zu Bett liegen. Der Kaplan war im Krieg….

In diesem Pfarrwesen war für das leibliche Wohl vollauf gesorgt. Eine gute Küche, zwei dienstbare Hausgeister, ein ansehnlicher Bauernbetrieb. Ein Hühnerhof, der stark bevölkert und nur halb angemeldet war. Es wurde drauf los gebuttert und nicht abgeliefert… Es gab auch ein Radio mit vielen Röhren und Wellen. Alles nach Wunsch. Ich würde den Anschluß sicher nicht verpassen, wenn „sie“ kämen.

Meine Pfarrkirche hätte eine ansehnliche Stadtkirche abgeben können. Ein massiver, neuer Bau, der die Gegend bis zu den Linzer Höhen beherrschte.

Die Pfarrei umfaßte außer dem Hauptort Horhausen mit 1200 Einwohnern noch neun Nebendörfer: Güllesheim, Grube Luise, Pleckhausen, Niedersteinebach, Huf, Luchert, Krunkel, Willroth und zeitweilig Honnefeld. Ein wahres Kirchspiel! Eine Pfarrei! Bei uns daheim wären es gleich drei gewesen, mit sechs Kaplänen. Hier gab es nur einen Pfarrer. Der war ich.

Meine Pfarrkinder waren durchwegs kleine Leute, die in bescheidenen Verhältnissen von harter Händearbeit lebten und an das Leben keine großen Ansprüche stellen durften. Der Boden war arm und karg….

(S. 19) Pferde gab es wenig. Traktoren keine… Wie sie in diesen harten Kriegs- und Krisenzeiten durchgekommen sind, ist mir noch heute ein Rätsel.

Und doch waren sie glücklich und zufrieden… Sie hatten nicht viel, aber sie hielten es gemeinsam. Einen half den andern. Einer gönnte es dem andern. Das war ihr Reichtum.

Diese Bergdörfer machten trotz aller Armut, mit ihren kleinen, schmucken Fachwerkhäuschen, in dem malerischen Westerwaldstil,… den Eindruck naturhafter Selbstbescheidung und anspruchsloser Zufriedenheit…. Es gab Leben. Es gab Kinder. Pausbäckige, kerngesunde Buben und Mädchen. Sie bevölkerten alle Schulen, sie füllten die Straßen…

Was der Boden diesen Naturmenschen nicht geben konnte, das verdienten sie sich in harter Bergmannsarbeit. Im nahen Willroth stand das große Krupp’sche Werk: Grube Georg. Wie lange noch? Grube Luise und Grube Silberwiese hatten schon stillgelegt werden müssen.

(S. 20) Tag und Nacht rollten schwere Züge durch die Berge, nach Norden in die Essener Waffenschmiede… Die Arbeit war schwer, der Lohn karg. Aber sie hingen an ihrer Grube.

(S.21) Von allen Ecken wurden mir Luxemburger gemeldet… In der Kreisstadt Altenkirchen befand sich eine ganze Kolonie Luxemburger „im totalen Einsatz“. Ich machte die Reise hin. Zum Landratsamt. Ein moderner, fein aufgeputzter Bau….

(S.22) Am folgenden Sonntag war die Luxemburger Kolonie aus Altenkirchen bei mir zu Besuch. Eine bunte Gesellschaft, Herren und Damen, Direktoren, Professoren, Advokaten, Bürovorsteher, Apotheker und gewöhnliche Leute. Sie hatten teilweise schon Hinzert und Schlesien mitgemacht und warteten hier auf die Stunde, wo sie abhauen könnten. ….In diesen Tagen war einige Aufregung im Landratsamt von Altenkirchen. Der Luxemburger wegen. Sie hatten am Wochenende vorschriftsmäßig Urlaub genommen... und waren westwärts gefahren….

(S.23) In Altenkirchen war man ängstlich besorgt und forschte …nach dem Schicksal dieser „treuen“ Beamten. Sie wurden nie mehr gesehen.

(S.24) Wir befanden uns an der Grenzscheide zwischen Katholizismus und Protestantismus. Im nahen Flammersfeld war schon

(S. 25) alles „blau“ d.h. protestantisch. Zur Zeit der Reformation hatten die Herren von Wied ihr Volk getrennt. Die Kluft ist geblieben. Sie wird bleiben, solange der „Grenzbach“ läuft. Neun meiner Dörfer waren zu 99 % katholisch. Nur die Ortschaft Honnefeld war evangelisch und unterstand Pastor Dr. Schneider, zu dem wir die besten Beziehungen unterhielten.

Ob ich, alleingestellt, diese Seelsorgearbeit leisten konnte, hing zum guten Teil von meinen Leuten ab, ihren religiösen Traditionen und ihrem guten Willen. Ich konnte auf sie bauen. Hier wußte man noch, was eine Pfarrei und was Pfarrgeist ist. Es gab eine wirkliche Pfarrmesse. Die Leute kamen oft eine Stunde weit her. Auf unmöglichen Wegen und Waldpfaden. In Eis und Schnee und jedem Unwetter. Sie kamen alle: Kinder, ältere Personen, Bergleute… Sie kamen im Granatenregen und in schwerster Bombengefahr, wenn wir die Kirche sperren mußten. Sie standen vor den verschlossenen Türen und warteten.

(S. 26) Ich predigte drei-, viermal des Sonntags in überfüllten Kirchen.

(S.28) Ich wage jetzt, nachdem ich die Verhältnisse geprüft und mein Urteil abgewogen habe, die Behauptung aufzustellen, daß meine Westerwälder nach einem Jahrzehnt Hitlerei noch ebenso unberührt waren wie irgendein Gebiet Luxemburgs nach vier Jahren.

Ich habe keinen Aufmarsch erlebt, keine Versammlung, keinen Propagandazug. Fast keine Uniform gesehen. Der Westerwald war als „schwarze Ecke“ bekannt und als unverbesserlich aufgegeben worden. Mein Kreisleiter war ein bekanntes Individuum, das unter dem Namen August Venter (der Vorname ist stark zu betonen), der auch bei uns eine Zeitlang sein Unwesen getrieben und seine völlige Unfähigkeit hundertfach bewiesen hat.

Dieser August hielt seinen Zirkus in Altenkirchen, einer Hochburg des Nazismus. Von dort hat er verschiedentlich einen Feldzug nach der „schwarzen Ecke“ unternommen, mit

(S.29) dem gesamten Troß von Stoßtrupps, Dauerrednern, Knüttelhelden und Maulaufreißern. Immer umsonst. Die Ecke blieb „schwarz“.

(S.32) Wir Luxemburger fanden die Leute schon stark ernüchtert und auf das Schlimmste gefaßt. Wir hatten keine Mühe, uns bei ihnen zurechtzufinden. Wir wurden anständig aufgenommen, und manche ehrliche Freundschaft wurde drüben geschlossen.

Auch die Kriegsgefangenen, ob Franzosen, Polen oder Russen waren gut aufgehoben. Sie wurden ordentlich verpflegt und menschlich behandelt. Sie hatten vielfach Familienanschluß….

Schwer war es allerdings, den Deutschen unsern westlichen Standpunkt klarzumachen und sie von den deutschen Kulturschandtaten, den Konzentrationslagern und dem soldatischen Raubrittertum zu überzeugen. In diesem Punkt hatte die Göbbelspropaganda ihre Ohren gefeit….

(S. 33) Auch die Deutschen standen unter Zwang und roher Gewalt, und viele leisteten heroischen Widerstand. Wir wissen heute, daß die berüchtigten Konzentrationslager ursprünglich für Deutsche gedacht waren und Tausende von ihnen, lange ehe wir es im Westen ahnten und glauben wollten, bis zum bitteren Ende dort litten und starben in einer heldenhaften Abwehr.

Das alles vermag jedoch nicht die Deutschen als Nation reinzuwaschen. Die Schuld ist zu groß. Was deutsche Landsknechte in frevelhaftem Übermut nach frecher Räubermanier und oft mit tierischer, sadistischer Grausamkeit bei uns angerichtet haben, schreit noch Generationen hindurch zum Himmel….

Was jeder Einzelne verbrochen hat, muß er vor seinem Gewissen verantworten.

(S.50) Es war Heiliger Abend. Am Nachmittag waren vereinzelte Landsleute bei mir eingetroffen. Am Abend waren sie alle da. Die von Altenkirchen, Flammersfeld und Ehrenstein. Wir waren noch eine kleine Gruppe Luxemburger um Weihnachten im Westerwald. An allen Horizonten brannten und verbrannten Dörfer und Städte.

(S. 51) Abendgottesdienst. Überfüllte Kirche. Vorne die Krippe. Die Menge singt ihre schönen, deutschen Weihnachtslieder...Dann die Predigt „Weihnachten damals und heute“. Über die Heiligen Personen, die in dunkler Nacht nach einem Obdach suchen…. Das Gotteshaus ist angefüllt mit Flüchtlingen aus Köln, Bonn, Koblenz. Die verstehen…. Unten am Rhein hing hoch am Himmel, grausig schön, ein „Christbaum“. Da brannte eine Stadt. Koblenz!

(S. 55) Wir waren uns bewußt, daß sich jenseits der deutschen Grenzpfähle etwas Ungeheures vorbereitete. Auch hinter den deutschen Linien wurden Berge von Munition und Kriegsgerät angesammelt und neue Verteidigungswälle aufgeworfen. Ein Heer von Arbeitssklaven schuftete Tag und Nacht im Zwangsdienst, unter der Fuchtel des berüchtigten Kreisleiters August Venter.

In jenen Tagen war noch nicht sicher, ob der Westwall bezwungen würde. Die Deutschen setzten große Hoffnungen auf

(S. 56) diese Panzerung und waren gesinnt, den Krieg solange wie möglich vom deutschen Boden wegzuhalten.

Das Leben im Westen wurde immer unerträglicher… Die Züge fielen aus. Die Straßen wurden unsicher. Es wurde höchst kriegsmäßig. Nach und nach wurden wir vom Linksrhein abgeschnitten…Koblenz und Bonn fielen aus. Wir waren ganz auf uns selbst angewiesen. In weiser Voraussicht dieser Zwangslage hatten uns die Trierer Diözesanbehörden weiteste Vollmachten erteilt. Wir wurden unser eigenes Bistum und regierten wie Bischöfe und Päpste die Herde des Herrn.

(S.57) Ich hielt mich im Hintergrund und befleißigte mich einer größeren Reserve auf der Kanzel….Wir mußten damit rechnen, daß die Gegend verseucht war und die gelben Ratten bei der nächsten Gelegenheit ausbrechen und alle unbequemen Zaungäste und unzuverlässigen Elemente mit sich „in Sicherheit“ bringen würden.

Peter Zimmermann und ich, der Luxemburger, regierten mit höchster Machtvollkommenheit die Kirche Gottes im Westerwald.

(S.58) wir waren unsere eigenen Bischöfe. Manchmal wurde es uns beiden ungemütlich bei dieser Machtfülle... Und der Himmel schickte Hilfe. Mitte Januar kam nicht nur ein Rechtsbeistand, sondern auch ein Theologe, Archäologe, Soziologe, Geologe usw. usw….Dr. Höffner….

(S. 59) Daß er eines Tages mein Pfarrkind, mein direkter Untertan und meine untergeordnete Hilfskraft werden würde, hätte ich nie zu glauben gewagt….

(S.60) Dr. Höffner wurde ein lieber, immer hilfsbereiter Mitarbeiter, den wir zu jeder Stunde angehen konnten…In schwierigen Stundenstand er zu uns mit Rat und Tat und hielt uns fest in den heiligen Bahnen des Gesetzes und Kirchenrechts.

Im Westen lagen noch immer die Amerikaner. Und warteten. Im Süden stand Patton – und wartete. Da, eines Morgens brach er los.

(S. 61) Koblenz fiel…Dramatisch wurde die Sprengung der Brücke bei Engers…. Noch dramatischer ging es bei der berühmten Brücke von Remagen zu… Zur Mittagsstunde des 7. März tauchte die neunte Division unter General Leonard in Remagen auf.… Im nächsten Augenblick standen sie an der berühmten Rheinbrücke. Welch ein Erstaunen, als man sie intakt vorfand…

(S. 62) Am Abend wurde uns in den Bergen gemeldet, daß die Amerikaner am Rhein standen…Und hoch auf dem Dattenberg waren die ersten Infanterie-Truppen gesichtet worden. Der Rhein war genommen. Die Nachricht ging durch alle Welt… Sie verhieß baldiges Kriegsende.

(S.66) Es war Krieg. Daß wir aus dieser Hölle herauskamen und nicht wie andere Dörfer in die Luft gesprengt…wurden, verdanken wir einer unerwarteten Glückslaune. Horhausen stand in diesen dramatischen Wochen unter dem Schutz des „Roten Kreuzes“. Von Euskirchen hatte sich ein Kriegslazarett in letzter Stunde über den Rhein gerettet, um sich rechtsrheinisch wieder festzusetzen, nicht allzuweit von der Front.

(S. 67) Am Abend meldete Genf allen Fronten…

(S. 68) daß „die Stadt Horhausen im Westerwald als Rotkreuzgebiet zu achten und zu respektieren sei.“

(S. 69) Langsam, sicher… arbeiteten sich die Amerikaner auf die Linzer Höhen… Als sie dann droben waren ... und ihre schweren Batterien mit vollen Rohren nach dem Westerwald richteten, ging das Feuerwerk erst recht los. Alle uns vorgelagerten Ortschaften kamen in Feuerbereich: Neustadt, Vettelschoß, Sankt Katharinen, Waldbreitbach. Zwischen diesen Bergen und Tälern verlief wochenlang eine heißumstrittene Kriegsfront. Abends, im Mondenschein, begruben wir die Toten. In Massengräbern, reihab, ohne Särge…Das war Krieg in blutigstem Erleben.

(S.70) In Anbetracht der Frontnähe mußte unser Lazarett abziehen.

(S.73) Über Nacht war unserer Lazarett weggezogen Wir mußten unsere Fahnen einholen.

Wir gingen auf den Passionssonntag zu…. Der „Feind“ rückte näher...Wir hatten nur noch lose Verbindung zu den Filialdörfern. Die Straße nach Willroth lag unter Feuer….

(S.76) Am Palmsonntag konnten wir keine Gottesdienst mehr halten.

(S.79) Was die Deutschen sich dabei gedacht haben, und mit welchen Gefühlen sie den amerikanischen Vormarsch erlebten, kann ich nicht wissen. Wir, aus dem Westen, stecken in einer völlig anderen Haut. Den Deutschen aber, jenem noch klar denkenden und nicht infizierten Volksteil, muß bei aller freudigen Erwartung doch bitter zu Mut gewesen und grausam angekommen sein, in den Eroberern die „Befreier“ zu begrüßen.

(S. 81) Gegen Mitternacht stieg eine Leuchtrakete hinter den Hügeln herauf, und im gleichen Augenblick zerriß ein wilder Krach das drückende Schweigen. Um vier Uhr kam Zimmermann von einem Erkundigungsgang zurück und meldete: “ Vor der Kirche stehen die Amerikaner!“… In den frühen Morgenstunden des 26. März war die Stadt Horhausen im Westerwald fest in amerikanischer Hand.

(S. 90) Das Leid meiner Leute ging mir zu Herzen. Sie waren in all den Monaten gut und anständig zu mir gewesen, ich wollte sie auch jetzt nicht im Stich lassen und tat alles Mögliche, um ihnen die Notlage zu erleichtern. Aber es war gut und heilsam, wenn sie sich mit der neuen Weltgeschichte zurechtfanden. Am Ostersonntag, als wir Auferstehung feierten und zum ersten Mal, seit vielen Monaten, wieder predigen durften, glaubte

(S.91) ich ein ernstes Wort sagen und sie hinweisen zu müssen auf das, was deutsche Soldateska im Westen angerichtet hatte…. Meine Leute verstanden und schwiegen….

Die Deutschen haben manches verbrochen in diesem Krieg, das müssen sie heute schon anerkennen….

(S. 92) Die Deutschen haben…manches von dem amerikanischen Menschentum lernen können. Einen solchen Lehrmeister habe ich am Werk gesehen. Wir waren nach Altenkirchen hinausgefahren, Dr. Höffner, Kaplan Zimmermann und der Luxemburger, um wichtige politische und wirtschaftliche Angelegenheiten mit den Amerikanern zu besprechen…

Altenkirchen, das „blaue Nest“, die verhaßte Zwingfeste, die stolze Hochburg der Partei, war arg mitgenommen worden. Von der „Süßen Ecke“ bis zum Landratsamt, war die einst so stolze Stadt aufgewühlt und durchgeschüttelt worden. Wir stiegen über Schutthaufen, Trümmer und Trichter.

(S.94) Die russischen Gefangenen hatten natürlich auf ihren Arbeitsstätten aufgesteckt und zogen brandschatzend in der Gegend umher. Da die Amerikaner nach Berlin unterwegs waren und keinerlei Schutztruppen zurückgelassen hatten, mußte jeder, so gut er konnte, Selbsthilfe leisten. Und wieder muß ich die Disziplin der Deutschen loben, die sich nicht nur schnell in die Lage fanden, sondern auch

(S.95) ohne Zeitverlust ihre Trümmer aufräumten und den Wiederaufbau begannen…Erst nach einigen Wochen kam ich dazu, an mich und meine Zukunft zu denken……Die Unruhe überkam mich. Ich wollte heim.

(S.109) Drüben im Westerwald warteten sie Tage und Wochen und ließen dann alle Hoffnung fahren: “Der Luxemburger hat uns im Stich gelassen.“

(S.110) Das ist meine Geschichte vom Westerwald… Ich habe Luxemburg im Krieg erlebt. Ich habe auch jenes „andere“ Deutschland kennengelernt, das mit uns litt unter der Hitlerbarbarei und sich trotz allem Druck rein bewahrt hat. Auch drüben gab es anständige, hilfreiche, heroische Menschen. Dies erkannt und an mir selbst erfahren zu haben, buche ich heute als großen Gewinn aus meiner Verbannungszeit…. Meine Luxemburger Heimat habe ich wiedergefunden und ich danke Gott dafür. Aber heute glaube ich über unsere Grenzpfähle hinweg an Europa. Ich glaube an den Menschen, den natürlichen, unverdorbenen, christlichen Menschen. Überfall habe ich ihn gefunden. Auch in Deutschland.


Die Erinnerungen des Nicolas Theis waren Gegenstand einer in der Zeitungsbeilage “Deine Heimat“ (Band 2, Nr. 2,1952, S. 3-4) abgedruckten kurzen Besprechung, gezeichnet K, vermutlich von Erwin Katzwinkel. Dem Leser des Werkes von Nicolas Theis sei hier dieser Text bekannt gemacht.


"Es ist als Erlebnisbericht aus den Jahren 1944/45 in die Reihe der Kriegsbücher zu zählen und keineswegs ein Heimatbuch. Da es aber das Kriegsgeschehen, insbesondere aber die Verhältnisse im Kirchspiel Horhausen, dem südlichsten Zipfel unseres Kreises, schildert, ist es für die Bewohner dieses Gebiets von geschichtlicher Bedeutung. Es ist allerdings ein Buch, von dem man sagen kann, es ist mit seinem Hinweis auf die "Kollektivschuld" und mit seiner Mahnung an die Deutschen: "Lasset die Finger von Flinte und Pulver" fünf Jahre zu spät erschienen. Es hat überhaupt mehr negative Seiten als, in unserem Sinne, positive. Aber wir wollen dem Verfasser zugute halten, daß sein Aufenthalt im Westerwald nicht in einer friedlichen Zeit erfolgte, sondern daß er aus der Heimat Luxemburg hierher verbannt wurde. Wenn er über seinem eigenen Leide und dem seiner luxemburgischen Heimat das Gefühl für das Leid der Deutschen verloren hat, wir wollen es verstehen. Daß er aber beim Anblick der Stadt Kobklenz zum Brevier griff und die Fluchpsalmen betete, daß er die, durch wohl ebenso großes Leid gegangenen Deutschen aus den Balkansiedlungen ein Räubervolk nennt, nehmen wir nicht unwidersprochen hin. Mögen diese Äußerungen auch menschlich noch so verständlich sein, als Zeugnis für die christliche Haltung eines Priesters sind sie nicht anzusehen. Wie gesagt, das Buch hat viele derartig negative, wohl allzumenschliche Stellen. Was es wertvoll für uns macht, sind die Schilderung der Menschen und der Kriegsereignisse im Westerwald. Der Verfasser schreibt selbst, daß er als Feind der Deutschen seinen Weg in den Westerwald antrat. Er sah also mit den Augen des Feindes die Menschen seines Pfarrsprengels und wenn er dann doch Worte voll des Lobes über sie findet, dürfen wir wohl annehmen, daß diese Menschen wirklich so sind. Seine ganze Achtung zollt er in seinem Buch den Bergleuten bei ihrer schweren Arbeit in der Nacht der Erde. Die Schilderung der Kriegsereignisse im Horhausener Raum ist durchaus subjektiv und schließt damit eine Lücke, da aus deutscher Feder wenig darüber zu erfahren sein wird, denn die meisten Westerwälder, die darüber berichten könnten, standen in den Tagen, fern der Heimat, im Kampfhandlungen und erlebten die schwersten Stunden der Heimat nicht mit. Der Schluß des Buches aber zeigt, daß der Aufenthalt unter den Westerwäldern doch gute Folgen hatte. Deshalb sei er hier im Wortlaut angefügt: "Meine Verbannung in den Westerwald wurde mir zum großen Gewinn. Ich bin auch drüben Luxemburger geblieben, aber Europäer geworden. Meine Luxemburger Heimat habe ich wiedergefunden und ich danke Gott dafür. Aber heute glaube ich über unsere Grenzpfähle hinweg an Europa. Ich glaube an den Menschen, den natürlichen, unverdorbenen, christlichen Menschen. Überall habe ich ihn gefunden. Auch in Deutschland."




Navigation

bis 1 v.Chr.

0001 - 1000 n.Chr.  · 1001 - 1100 n.Chr.  ·1101 - 1150 n.Chr.  ·1151 - 1200 n.Chr.  ·1201 - 1250 n.Chr.  · 1251 - 1300 n.Chr.  ·1301 - 1350 n.Chr.  · 1351 - 1400 n.Chr.  ·1401 - 1500 n.Chr.  · 1501 - 1520 n.Chr.  · n.Chr.  · 1521 - 1540 n.Chr.  · 1541 - 1560 n.Chr.  · 1561 - 1580 n.Chr.  · 1581 - 1600 n.Chr.  · 1601 - 1620 n.Chr.  · 1621 - 1640 n.Chr.  · 1641 - 1660 n.Chr.  · 1661 - 1680 n.Chr.  · 1681 - 1700 n.Chr.  · 1701 - 1720 n.Chr.  · 1721 - 1740 n.Chr.  · 1741 - 1760 n.Chr.  · 1761 - 1780 n.Chr.  · 1781 - 1800 n.Chr.  · 1801 - 1810 n.Chr.  · 1811 - 1820 n.Chr.  · 1821 - 1830 n.Chr.  · 1831 - 1840 n.Chr.  · 1841 - 1850 n.Chr.  · 1851 - 1860 n.Chr.  · 1861 - 1870 n.Chr.  · 1871 - 1880n.Chr.  · 1881 - 1890n.Chr.  · 1891 - 1900n.Chr.  · 1901 - 1910 n.Chr.  · 1911 - 1920 n.Chr.  · 1921n.Chr.  · 1922 n.Chr.  · 1923 n.Chr.  · 1924 n.Chr.  · 1925 n.Chr.  · 1926 n.Chr.  · 1927 n.Chr.  · 1928 n.Chr.  · 1929 n.Chr.  · 1930 n.Chr.  · 1931 n.Chr.  · 1932 n.Chr.  · 1933 n.Chr.  · 1934 n.Chr.  · 1935 n.Chr.  · 1936 n.Chr.  · 1937 n.Chr.  · 1938 n.Chr.  · 1939 n.Chr.  · 1940 n.Chr.  · 1941 n.Chr.  · 1942 n.Chr.  · 1943 n.Chr.  · 1944 n.Chr.  · 1945 n.Chr.  · 1946 - 1950 n.Chr.  · 1951 - 1960 n.Chr.  · 1961 - 1970 n.Chr.  · 1971 - 1980 n.Chr.  · 1981 - 1990 n.Chr.  · 1991 - 2000 n.Chr.  · 2001 - 2005 n.Chr.  · 2006 - 2010 n.Chr.  · 2011 - 2015 n.Chr.  ·2016 - 2020 n.Chr.   2021 - 2025 n.Chr.  


Hauptseite  · Die Stadtchronik von Altenkirchen (Westerwald)  · Gang durch die Geschichte: Altenkirchen - Von den Anfängen bis 1945 · Jubiläen  · Das Projekt AKdia  · Einzelne Themen und Verzeichnisse  · Veröffentlichungen im Rahmen AKdias  · Quellentexte  · Literatur & Belege  · Prinzipien  · Links  · Nachrichten  · Vorlagen