Brigitte Burbach
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In ihrem letzten Lebensjahr wendete sie sich einer weiteren Aufgabe zu: Der Erforschung der Geschichte Altenkirchens und damit einhergehend der Mitarbeit an unserer Internetchronik Altenkirchens. Vor allem bezüglich der Frühzeit Altenkirchens und der Geschichte bis zum 18. Jahrhundert gelangen ihr einige wichtige Aktenfunde und konnte sie auch grundlegende Erkenntnisse in AKdia veröffentlichen. Ihr gilt unser großer Dank. Im Folgenden drucken wir mit freundlicher Genehmigung in Auszügen die Lebensbeschreibung Brigitte Burbachs ab, wie Pfarrer Martin Autschbach sie in seiner Ansprache am 4. Februar 2010 zur Trauerfeier anlässlich des Todes von Brigitte Burbach am 30. Januar 2010 hielt. (Stephan Schmidt/AKdia)
Brigitte Burbach – Heimatforscherin aus Hamm/Sieg (*7.2.1935, + 30.1.2010) Von Martin Autschbach / Copyright Martin Autschbach 2010 Brigitte Burbach wurde am 07.02.1935 in Hamm geboren, wird die Älteste von drei Geschwistern und wächst mit den Brüdern Jörg und Peter in einem Geschäftshaushalt auf, einem typischen Familienunternehmen dieses überschaubaren Ortes. Sie erkrankt als junges Mädchen am 16. August 1942 an Polio, überlebt die Kinderlähmung mit gravierenden Folgeschäden. Zusammengerechnet muss die Zeit an Jahre grenzen, die sie in Krankenhäusern, Sanatorien und Kuren zubringen muss. Ihre Mutter versucht alles, um in ihrer Nähe zu sein, aber das gelingt nicht immer, denn die Heilanstalten liegen fernab der Heimat und es herrscht Krieg. Zurückgekehrt nach Hamm kann Brigitte Burbach gesundheitsbedingt nur sporadisch zur Schule „gehen“. Zeitweise übernehmen Tanten ihren Unterricht zu Hause. Bei einem Einsatz am Westwall wird 1944 der Vater durch einen Tieffliegerangriff schwer verwundet und stirbt. Seine Beerdigung findet am Heiligabend in Hamm statt. Eine Schattenzeit. Sorgfältig und sensibel für das Schöne und Schwere im Leben ihrer Eltern bedenkt sie fast 70 Jahre nach ihrer Kindheit im Jahr 2004 den lebendigen Briefwechsel des verliebten, noch nicht verheirateten Paars Artur und Erna Burbach, veröffentlicht auch die letzten Briefe der Eheleute, die der Krieg für immer auseinander reißen wird. Ganz liebevoll sagt Brigitte in ihrer Familiengeschichte: „der Anfang von allen Geschichten besteht darin, dass sich zwei zusammenfinden“. Fast biblisch klingt das. An ihrer Mutter, an Erna Burbach, einer wohl ausgesprochen charaktervollen Frau, erlebt Brigitte Burbach damals leibhaftig, dass Stärken in Zeiten größter Schwäche wachsen können. Die schwierige Nachkriegszeit folgt, Jahre, in denen starke Frauen nicht nur im Hause Burbach den Mittelpunkt der Familie bilden. Kinder definieren sich über Bewegung und der Rollstuhl wird zum Abenteuergefährt: Gut, dass die Erwachsenen nicht ahnen, was damit rein geschwindigkeitsmäßig alles anzustellen ist. Brigitte Burbach lässt sich in mancherlei Hinsicht nicht ausbremsen. Aufgeweckt, vielseitig interessiert und unternehmungshungrig wird sie Schülerin des Gymnasiums in Altenkirchen, holt versäumten Stoff mithilfe einer Freundin nachmittags nebenbei nach. Dem Abitur folgt eine kaufmännische Lehre. Sogar ein Studium in Bonn beginnt sie, Germanistik und Geschichte, was sonst? Sie muss es abbrechen, der finanzielle Aufwand und vielleicht ein damals wenig behindertengerechter Unibetrieb gaben wohl den Ausschlag. Jahre der Bürotätigkeit im elterlichen Betrieb und dann eine Externenprüfung als Steuerbevollmächtigte schließen sich an. In Brigitte wirken die Gene ihrer Eltern, der Burbachs und Pauls, sie macht sich selbstständig, baut sich eine eigene Existenz auf, berät in Steuersachen einen großen Kundenstamm über Hamm hinaus. Eine lebenslange Freundschaft mit Uda Schulz hat längst begonnen, die beiden kaufen das Häuschen in der Schillerstraße. Die beiden vielseitig interessierten Frauen ergänzen sich, teilen viele Interessen und kommen gemeinsam durch die Welt: ob mit der transsibirischen Eisenbahn durch Russland, mit dem Flugzeug nach London und Schottland oder dem Auto nach Frankreich, nach Holland sowieso. Natürlich sind alle diese Unternehmungen und Erlebnisse immer wieder unterbrochen durch gelegentliche Krankheitsphasen und Kuren. Aber diese Schattenseite bestimmt Brigitte Burbachs Lebenseinstellung nie wirklich. Es ist umgekehrt: Sie entdeckt mit Einfallsreichtum, großer Disziplin und Beharrlichkeit immer wieder das, was ihr möglich ist, entwickelt ihre Stärken allen Einschränkungen zum Trotz, findet ihre persönlichen Freiräume. Das gilt in besonderer Weise für ihr größtes Hobby, für die Heimatgeschichte, die Geschichte der Menschen in ihrem Lebensraum, vorsichtig gesagt zwischen Sieg, Lahn und Rhein. Wenn ich ihre über 40 Veröffentlichungen zu diesem Themenkreis durchsehe - darunter grundlegende Werke zur Geschichte Hamms an der Sieg, zum Evangelischen Kirchspiel und zur Genese der Katholischen Gemeinde - dann wird mir eine klare Tendenz deutlich, eine Richtung, die sie früh eingeschlagen hat und bis zum Schluss nachhaltig verfolgt: Sie betrachtete Geschichte vor allem aus der Perspektive derjenigen, die fremdbestimmt leben mussten, die Geschichte erlitten haben. Brigitte Burbach war ein wandelndes Lexikon für die Geschicke von Menschen, die gerade in der überschaubaren Landschaft des Westerwaldes unter die Räder kamen: fahrendes Volk, Vaganten, Flüchtlinge, Spielleute, von den Landesfürsten abgeschobene Irrläufer, „Staatenlose“, natürlich auch Juden ohne Schutzbrief, Grenzgänger der mittelalterlichen Ständegesellschaft mit so genannten „unehrenhaften Berufen“. Es ist somit kein Zufall, dass ihr letztes Buch „So doch mein Vaterland“ von Menschen jüdischen Glaubens in Hamm an der Sieg handelt. Genau genommen ist dieses Buch profunde Quellensammlung und grundlegendes Nachschlagwerk zugleich, wegweisend für alles, was in Zukunft über Juden im Kreis Altenkirchen und darüber hinaus erforscht wird. Und eins macht Brigitte Burbachs letztes Buch vielleicht noch kostbarer: Es ist das erste verlässliche, wirklich umfassende Familienbuch der jüdischen Einwohner Hamms. Es konfrontiert mit der Tatsache, dass 63 Juden aus Hamm in den Vernichtungslagern des Nationalsozialismus ermordet wurden und nur 17 die Auswanderung oder Flucht gelang. Dass ihre Namen, ihre Familienbeziehungen und Lebensdaten nicht verloren gegangen, sondern erinnerbar sind, dies ist auch ganz klar Brigitte Burbachs Verdienst. Vorsichtig schreibt sie: „Das Schicksal unzähliger Familien lässt sich heute vielfach nur an den Daten ihres Todes ablesen. Es lässt sich kaum fassen und auch nur schwer ausdrücken, was sich hinter solchen Daten verbirgt.“ Brigitte Burbach hat um jedes Detail dieser Biografien gerungen. Nur wer weiß oder ahnt, wie verletzbar, wie leicht zerstörbar ein einziges Menschenleben ist, ermisst seine Kostbarkeit und arbeitet wider das Vergessen. |